Ein Königreich für einen Bauern
Aus der Vogelperspektive betrachtet, sieht die Welt manchmal recht eintönig aus. Die Netze des Verkehrs von Menschen, Daten, Geld und Müll überziehen die Erde wie eine Glasur, die die Unterschiede zwischen einzelnen Ländern verwischt. Das Bedürfnis nach Distinktion und Abgrenzung steigt, Lokalkolorit steht hoch im Kurs. Doch wie kann man sich möglichst merkbar abheben vom Einheitsbrei der Globalisierung? Die Antwort lautet, kann lauten: Man gründe eine Mikronation. Mit dem Brixton Pound haben wir schon mal eine ganz spezielle Währung unter die Lupe genommen. Heute soll es um Mikronationen und ihre Münzen gehen.
Unter einer Mikronation versteht man ein Gebilde, das klassische Eigenschaften eines Staates aufweist, aber nicht als eigenständiger, souveräner Staat anerkannt ist. Wenn diese Möchtegern-Staaten also beispielsweise Urkunden und Dokumente ausgeben, gelten diese als unwirksam. Mikronationen erfüllen die gängigen Voraussetzungen nach dem Völkerrecht und der Allgemeinen Staatslehre nur teilweise oder gar nicht. Dies fängt bereits damit an, dass für die Staatenbildung ein klar definiertes Staatsterritorium sowie ein Staatsvolk nötig wären – und eine eigene Währung. Aus diesem Grund sind die meisten Mikronationen besonders eifrig bei der Herstellung von Phantasieprägungen, mit denen sie nicht nur Geld verdienen, sondern auch Werbung für ihre Sache machen können.
Fünf bekannte Mikronationen
Ein Blick auf die Landkarte der Mikronationen macht deutlich, dass es viele Gründe gibt, als Staatsbürger sein „eigenes Ding“ zu machen. Manche Mikronationen bemühen sich dabei seit Jahrzehnten um ernsthafte internationale Anerkennung und unterhalten bereits diplomatische Beziehungen zu realen Staaten. Andere Mikronationen sind eher als Kunstprojekte oder politischer Aktivismus anzusehen, mit denen auf eine bestimmte Problematik hingewiesen werden soll. Weitere Mikronationen verfolgen lediglich humoristische Zwecke, gelten also praktisch als Comedy-Ausgründungen. Derweil bleiben sie numismatisch Randerscheinungen – jedoch mit interessanten Ausläufern. Folgende fünf Mikronationen haben durch Medienberichte auch in Deutschland eine gewisse Bekanntheit erlangt:
Hutt River Province (Australien)
Als Vorreiter der Mikronationen gilt Leonard George Casley. Sein „Principality of Hutt River“ könnte auf der Weltkarte am ehesten als „echte“ Nation durchgehen. Dabei umfasst das Fürstentum etwa 75 Quadratkilometer des australischen Bundesstaates Western Australia. Neben dem Weizenanbau verdiente der im Februar 2019 verstorbene Landwirt Casley sein Geld als Touristenattraktion, verkaufte Pässe und auch Münzen seines „Staates“.
Der Online-Münzkatalog „Numista“ verzeichnet insgesamt 140 Münzen aus Hutt River – mehr als für viele „echte“ Staaten: Los ging es im Jahr 1976 mit einer Umlaufmünzenserie zu 5, 10, 20 und 50 Cents mit dem Bildnis von „Prince Leonard“ sowie dem Wappen der Provinz. Dann, im Jahr darauf, würdigte der Prinz sogar das 25. Thronjubiläum seiner Amtskollegin Königin Elizabeth II. mit einer Umlaufgedenkmünze. Danach bediente sich Leonard I. munter aus dem Repertoire bestehender Münzprogramme, gab eigene „Sovereigns“ heraus. Sogar ein Silber-Koala war dabei – und das lange bevor die Perth Mint in Australien ihre bis heute beliebte Silber-Serie auflegte. Diverse Motive würdigen zudem US-amerikanische Themen – offenbar um die dortigen Fans der Hutt River Province zu versorgen.
Die umtriebigen Prägeaktivitäten der Hutt River Province machen deutlich, wie ernst es Casley meinte: Bereits am 21. April 1970 wurde, nachdem die staatliche Produktionsquote für Weizen auf seiner Farm für Ärger gesorgt hatte, mit einem Brief an den Premierminister die Unabhängigkeit von Australien erklärt. Seitdem war der Bauer als „His Royal Highness Prince Leonard“ unterwegs. Darüber hinaus wurde sein Acker zur Hauptstadt und „Nain“ getauft. Trotz dieser zum Teil aberwitzigen Umstände konnte Casley in der Vergangenheit mit einzelnen realen Staaten diplomatische Beziehungen unterhalten. Inzwischen – der Gründungs-Prinz verstarb im Februar 2019 – lenkt Sohn Graham die „Staatsgeschicke“.
- 5 Dollar (1982)
- 30 Dollar (1976)
Fürstentum Sealand (Großbritannien)
Sealand hat sich in der Vergangenheit nicht nur als Mikronation, sondern auch als Offshore-Serverstandort einen Namen gemacht. Die Mikronation wurde auf der ehemaligen britischen Seefestung HM Fort Roughs errichtet und liegt demnach knapp 10 Kilometer vor der Küste von Suffolk, England im offenen Meer.
Am 2. September 1967 wurde die verlassene Plattform durch Paddy Roy Bates besetzt, der zuvor für die Royal Army tätig war und einen Piratensender betrieb, zum eigenständigen Staat erhoben. Sogar mit Waffengewalt verteidigte Bates, der 2012 starb, seinen Staat Sealand und kämpfte um die Anerkennung als völkerrechtlich legitimer und souveräner Staat. Dafür gab er erstmals im Jahr 1972 eigene Münzen heraus. Jene Erstlinge zeigen seine Frau, „Prinzessin“ Joan. 1994 folgten Umlaufmünzen, die einen Orca abbildeten. Auch der Tod von Prinz Roy wurde mit einer Silbermünze gewürdigt. Inzwischen haben es die Münzen aus Sealand es längst aus der Kuriositäten-Ecke heraus geschafft: Im Jahr 2018 nahm sogar ein bekannter deutscher Edelmetallhändler eine Münze aus Sealand in sein Programm auf.
Antikes Fürstentum Seborga (Italien)
Zu den ernsteren Bestrebungen, eine Mikronation zu etablieren, zählt das „Antike Fürstentum Seborga“ in Italien. Hier ließ sich Giorgio Carbone im Jahr 1993 zum Fürsten ausrufen. Anders als die meisten Mikronationen, leitet Seborga sein Existenzrecht von einer historischen Begebenheit ab: Im Rahmen des Wiener Kongresses im Jahr 1815 wurde Seborga weder dem Königreich Italien noch Sardinien zugesprochen. Damit sei die Gemeinde staatenlos. Auch Fürst Giorgio, der im Jahr 2009 starb und inzwischen durch einen neuen Fürsten namens Marcello I. ersetzt wurde, ließ zwischen 1994 und 1996 eigene Münzen für seine Mikronation prägen – den Luigino. Sein Nachfolger verewigte sich selbst im Jahr 2012 auf einer neuen Münzenserie. Dabei ist der Luigino keinesfalls ein Phantasieprodukt der Neuzeit – bereits im 17. Jahrhundert galt er in dieser Region als Währung.

Banknote zu 1 Luigino (Foto: banquecentrale-seborga.com)
Republic of Molossia (USA)
Molossia ist mit seinen (Stand 2019) 34 Einwohnern (inklusive Hunden) selbst unter den Mikronationen ein kleiner Staat. Offiziell bezeichnet sich Molossia als Republik, ist de facto aber eine Diktatur. Als es dort zur Erstausgabe eigener Münzen kam, gab man sich keine allzu große Mühe – die erste Generation der molossischen Zahlungsmittel wurde nämlich nur auf einfache Casino-Chips geklebt. 2006 leistete sich Molossia dann erstmals professionelle Münzen und legte im Jahr 2018 die Serie „Presidents of Micronations“ auf – natürlich mit dem hiesigen Staatsoberhaupt auf der ersten Münze.
Als Netzwerkerin unter den Mikronationen tut sich die Republik Molossia besonders hervor: Erst rief sie die Intermikronationalen Spiele ins Leben, dann war sie sogar Gastgeberin der ersten Intermikronationalen Weltausstellung. Die heimische Währung, der Valora, ist an den US-Dollar gebunden: Drei Valora entsprechen dem Dollarpreis einer Dose „Pillsbury Cookie Dough“. Der Nationalsport ist Broomball (Besen-Ball), als nationales Denkmal gilt der Tower of the winds, ein überlebensgroßes Windspiel.

verschiedene Valora-Münzen und -Banknoten (Original-Abbildungen: molossia.org)
Republik Kugelmugel (Österreich)
In dieser Übersicht der wichtigsten und wohl kuriosesten Mikronationen darf ein europäisches Projekt nicht fehlen. Allerdings fällt es weniger durch eine ausgeprägte Münzkultur auf. Apropos Auffallen: Im bunten Freizeitpark Prater in Wien fällt diese Mikronation kaum auf. Unweit einer Achterbahn steht eine überdimensionale Kugel aus Holz – die „Republik Kugelmugel“. Ursprünglich wurde sie 1971 als gänzlich unpolitisches Holzhaus durch Edwin Lipburger in Katzelsdorf (Niederösterreich) aufgebaut. Als die Behörden den Schwarzbau abreißen lassen wollten, rief Lipburger kurzerhand die Republik Kugelmugel aus. Seit 1982 steht die Kugel – inzwischen sehr wohl politisch-völkerrechtlich orientiert – also im Wiener Prater. In aller Welt leben mehrere hundert Menschen, die die Staatsbürgerschaft von Kugelmugel verliehen bekommen haben. Dahingegen ist der letzte numismatische Akt praktisch längst verjährt: 1976 wurde Kugelmugel auf einer – wie passend – runden Prägung im Vollformat abgebildet, seitdem ist es numismatisch ruhig geworden um die österreichische Rummelplatz-Attraktion.
Fotos/Grafik ohne Quellenverweis: Sebastian Wieschowski
Tags: Hutt River Kugelmugel Luigino Mikronationen Molossia Sealand Seborga Valora