Selfmade-Raritäten mit dem Segen des Prägestätten-Chefs
Als Amtsmissbrauch, Geldgier und Sicherheitslücken aufeinandertrafen: Bis heute schwingt bei manchem Sammler ein mulmiges Gefühl mit, wenn irgendwo eine alte hochpreisige Rarität mit dem Münzzeichen „G“ auftaucht – auch nach 45 Jahren hallt der Karlsruher Münzskandal gelegentlich nach.
Das 50-Pfennig-Stück „Bank Deutscher Länder“ aus dem Jahr 1950 mit dem Münzzeichen „G“, das 2-Pfennig-Stück von 1967 in „Polierte Platte“ mit Eisenkern, das 5-Mark-Stück von 1951 ebenfalls in „Polierte Platte“ – die numismatischen Raritäten der Bundesrepublik Deutschland aus der Zeit der Deutschen Mark lassen sich an einer Hand abzählen. Viele davon kommen aus der kleinsten der fünf deutschen Münzprägestätten, nämlich aus Karlsruhe.
„Nehmen Sie sich, was Sie brauchen, bevor das Zeug verwalzt wird.“
Betrug von ganz oben
Was sich im Jahr 1974 in Karlsruhe abspielte, wäre zweifelsohne passender Stoff für einen Hollywood-Streifen. Wenigstens aber für einen Tatort. Man stelle sich nur ein konspiratives Treffen des Prägestättendirektors mit mehreren Untergebenen in einem Hochsicherheitstresor vor, in dem Prägewerkzeuge der vergangenen Jahre gelagert werden, die normalerweise nie wieder ans Tageslicht kommen oder gar in Benutzung genommen werden. „Nehmen Sie sich, was Sie brauchen“, soll der damalige Karlsruher Verwaltungsdirektor Willy Ott seinem Stellvertreter aufgetragen haben. Auch Facharbeiter Klaus Fetzner sollte demnach zugreifen, „bevor das Zeug verwalzt wird“. So stand es in der Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ vom 4. Oktober 1976.
Karlsruher Münzskandal: Halbe Million Mark Schaden
Mehrere Mitarbeiter der Staatlichen Münze Karlsruhe hatten sich schließlich zusammengetan und vermutlich über mehrere Jahre hinweg verschiedene Münzraritäten kurzerhand nachgeprägt. Darüber hinaus verkauften sie die Stücke an Sammler und sogar Angehörige des Bundesfinanzministeriums weiter. Seinerzeit ging die Staatsanwaltschaft von bis zu 1.700 verkauften Münzen aus. Damit verursachte der Karlsruher Münzskandal mindestens eine halbe Million Mark Schaden.
Numismatik-Experte enttarnt den Betrug
Den Stein ins Rollen brachte ein aufmerksamer Sammler. Philipp Kaplan hatte sich bereits als akribischer Herausgeber der Monatsfachzeitschrift „Der Münzensammler mit dem Münzenmarkt“ und als Experte für Münzfälschungen einen Namen gemacht. Im Jahr 1974 kontaktierte Kaplan die Bundesbank, weil bei dem vermehrten Auftreten äußerst seltener Münzen auf dem Markt aus seiner Sicht etwas faul sein müsse. Im Rahmen seiner publizistischen Tätigkeit erhielt der Numismatiker seinerzeit auffällig viele Anfragen zu 50-Pfennig-Stücken aus dem Jahr 1950 sowie 2-Pfennig-Stücken des Jahres 1967. Zuvor hatte sich Kaplan mit diesen Raritäten nur im Ausnahmefall beschäftigen müssen, im Laufe des Jahres 1974 waren sie jedoch zu einem alltäglichen Anblick für den Münzenkenner geworden.

Im legendären Jäger-Katalog werden die Münzen, die vom Karlsruher Münzskandal betroffen waren, mit einem Stern sowie einem Hinweis versehen. Außerdem wird kein konkreter Marktwert angegeben, sondern lediglich „LP“ für „Liebhaberpreis“.
Wie hoch ist die Dunkelziffer?
Die Bundesbank nahm den Hinweis des Journalisten dankbar auf und leitete Ermittlungen ein. Allerdings nicht durch die Staatsanwaltschaft, sondern – höflich ausgedrückt – „interne“ Ermittlungen. Im Klartext: Die Verantwortlichen in Karlsruhe bekamen einen freundlichen Hinweis. Ganze acht Wochen hatten sie Zeit, bis die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde. Als die Polizei bei den Verdächtigten vor der Tür stand, konnten sie laut einem Bericht des „Spiegel“ insgesamt „etwa 6000 bis 10 000 falsche Fuffziger und etwa 1000 Magnet-Zweier“ sicherstellen – diese Zahlen geben jedoch nur einen groben Anhaltspunkt zum Ausmaß des Skandals.
Stempelkopplung ist entscheidend
Die meisten Stücke, die in den Siebzigerjahren in Karlsruhe nachgeprägt wurden, lassen sich mit geschultem Auge durchaus enttarnen. Auch wenn dies sogar den Experten der Bundesbank in vielen Fällen nicht gelang. Für die Seiten der Münze, die die Prägung zu einer Rarität machten, wurden die ursprünglichen Prägestempel benutzt, während die unveränderte Seite mit modernen Stempeln hergestellt wurde. Es lag also in technischer Hinsicht eine falsche Stempelkoppelung vor. Gelegentlich wurden auch neue Rändeleisen verwendet, die deutlich schärfer waren als ihre Vorläufer.
- Zwei-Pfennig-Stück von 1967
- in „Polierte Platte“ mit Eisenkern.
Münzen, die es gar nicht geben dürfte
Das Ganovenstück in der Geldfabrik wäre bereits mit den Fälschungen der gängigen Münzraritäten filmreif, doch die Angeklagten legten eine immer größere Kreativität an den Tag und fälschten nicht nur existierende Raritäten, sondern erschufen auch solche, die es unter normalen Umständen nie gegeben hätte – beispielsweise ein 2-Mark-Stück von 1959 mit dem Münzzeichen „G“.
Juristisch wartete der nächste Skandal
Mit großer Spannung wurden daraufhin die Anklage und vor allem die Verhandlung vor dem Landgericht Karlsruhe erwartet. Doch während der Fall in der Welt der Münzen für einen handfesten Skandal taugte, erinnert das Urteil selbst eher an einen Warnschuss für Kleinkriminelle. Zwar erkannten die Richter den Straftatbestand des Diebstahls und versuchten Betrugs an. Allerdings nur in zwei Fällen und mit einer – obendrein zur Bewährung ausgesetzten – Freiheitsstrafe von lediglich zehn Monaten. Erstaunlich aus Sammlersicht war insbesondere, dass eine Verurteilung wegen Falschmünzerei ausblieb. Im Grunde eine Art Skandal im Skandal.
Präzedenzfall: Falsche Münzen echt geprägt
Die Erklärung ist durchaus kurios: Weil die Münzen in einer staatlichen Münzprägestätte hergestellt wurden, könne von Falschgeld keine Rede sein. Zwar lag kein Auftrag des Bundesfinanzministeriums vor und die Münzen wurden offenkundig für dubiose Zwecke hergestellt. Nach einem juristischen Tauziehen zwischen Landgericht und Bundesgerichtshof setzten die Richter der unteren Instanz jedoch einen Schlussstrich, indem sie feststellten, dass die Angeklagten die Rechtslage nicht kannten. Daher hätten sie gar nicht absehen können, dass sie eine Falschmünzerei begangen hätten.
- 50 Pfennig 1950 G
- Bank Deutscher Länder
Karlsruher Münzskandal abgestreift
Inzwischen schreibt man in der Karlsruher Prägestätte nur noch positive Schlagzeilen und genießt zurecht einen hervorragenden Ruf. Als Teil der Staatlichen Münzen Baden-Württemberg ist man – in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Hauptmünzamt – Urheber der Polymerring-Technologie. Diese Material-Innovation sorgte erstmals 2016 weltweit für Aufsehen. Zuletzt wurde kürzlich die 10-Euro-Münze „An Land“ in Karlsruhe angeprägt.
Fotos/Grafik, wenn nicht anders ausgewiesen: Sebastian Wieschowski
Tags: 5-Mark-Münzen 50-Pfennig-Münze Karlsruher Münzskandal Münzprägung Philipp Kaplan Polymerring Prägestätte