Prozessurteil: Bewährung für Goldjungen von Göttingen
Billige Goldfälschungen aus China, schlecht kopierte Versionen gängiger Goldbarren sind eigentlich leicht zu enttarnen – offenbar jedoch nicht für Mitarbeiter der Sparkasse Göttingen. Über einen Zeitraum von mehreren Monaten kaufte die traditionsreiche Bank gefälschte Goldbarren an. Der Übeltäter: Ein heute 21-Jähriger, der kaum dem Bild eines eiskalten Betrügers entspricht.
Freitag, 15. November 2019, Amtsgericht Göttingen. Der junge Mann betritt den in bedrückendem Dunkelrot vertäfelten Gerichtssaal sichtlich angeschlagen, den Kopf gesenkt, den Blicken der Zuschauer und Fotografen ausweichend. Er trägt einen dunkelblauen Pullover, eine schwarze Hose – unauffälliger geht es kaum. Seine Antworten sind kurz und knapp, meistens sind es nicht mal ganze Sätze.

Bild: Sebastian Wieschwoski
Sparkasse Göttingen kauft 279 Goldfälschungen
Als wenig später verlesen wird, was dem 21-Jährigen zur Last gelegt wird, könnte leicht der Eindruck entstehen, dass es sich um eine Verwechslung handeln muss, weil eine so gewaltige Tat nur von einem Bösewicht mit der Kragenweite eines „Goldfinger“ begangen werden kann, nicht aber von einem Heranwachsenden: Gewerbsmäßiger Betrug mit einem Gesamtschaden von rund 300.000 Euro. Diese Geschichte könnte auch in Hollywood entstanden sein: 279 gefälschte Goldbarren soll der Angeklagte über einen Zeitraum von drei Monaten an die örtliche Sparkasse verkauft haben. Für die Boulevardpresse war das eine ordentliche Schlagzeile, der Realschüler und angehende Berufskraftfahrer wurde zum „Goldjungen von Göttingen“.
Angeklagter muss 116.000 Euro abstottern
Der unglaubliche Krimi ist rund drei Jahre her und zumindest juristisch nun abgeschlossen: Der Angeklagte erhielt vor dem Jugendschöffengericht wegen gewerbsmäßigen Betrugs in neun Fällen eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Das Gericht folgte damit den jeweiligen Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. In diesem Zeitraum wird ihm ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt. Wenn er sich in dieser Zeit nichts „Vergleichbares“ zu Schulden kommen lässt, ist die Angelegenheit für ihn in strafrechtlicher Hinsicht erledigt. Allerdings muss er den entstandenen Schaden von 300.000 Euro vollständig zurückzahlen, 183.000 Euro wurden bereits beschlagnahmt. Über die Rückzahlung der restlichen 116.000 Euro soll sich der junge Mann mit der Sparkasse Göttingen bereits geeinigt haben. „Er ist nicht vorbestraft, in keiner Weise auffällig gewesen, was also auch beim Jugendgericht selten ist, wenn wir über Straftaten in dem Umfang sprechen, gibt es meistens auch irgendwelche Vorgeschichten.“, erklärte Gerichtssprecher Stefan Scherrer.
Münzfälschungen sind Dauerthema
Die Erkennung von Münzfälschungen ist seit vielen Jahren ein Dauerbrenner – Münzzeitschriften, Händlerverbände sowie Vereine und Verbraucherschützer warnen regelmäßig vor den Gefahren moderner Fakes. Insbesondere Gold- und Silberanlagemünzen sowie Goldbarren sind betroffen, sie werden in schlechter Qualität in Fernost hergestellt und für ein paar Euro pro Stück nach Deutschland geschickt. Dass Online-Auktionsplattformen und Kleinanzeigen-Portale inzwischen mit billigen Fälschungen überschwemmt werden, ist hinlänglich bekannt – dass aber ausgerechnet eine traditionsreiche, seriöse Bank auf solch plumpe Goldfälschungen reinfällt, ist wohl die Ausnahme.
Peinliche Details rund um die billigen Barren-Fakes
So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der Betrugsfall von Göttingen für bundesweite Schlagzeilen gesorgt hat. Schließlich tauchen Münzen und Barren normalerweise nicht auf den Titelseiten großer Zeitungen auf. Doch dass ein junger Mann eine Sparkasse, die trotz Nullzinsen und Anlagenotstand für viele Deutsche weiterhin der letzte sichere Hafen fürs Ersparte ist, mit hunderten Goldfälschungen um rund 300.000 Euro erleichtert haben soll, ist schlicht unvorstellbar. Dabei hat er selbst auf einer einschlägigen Internetauktionsplattform lediglich 9.900 Euro für die Goldfälschungen bezahlt. Nach Ansicht von Experten handelt es sich dabei um die denkbar billigsten China-Fakes, die regelrecht „Ich bin gefälscht“ schreien. Diese Details machen die Räubergeschichte quasi perfekt.
Taschengeld mit Goldfälschungen aufgebessert
Zugetragen hat sich der Fall bereits im Herbst 2016. Damals war der Angeklagte gerade 18 Jahre alt. Innerhalb von nur zwei Monaten konnte der Beschuldigte sein Taschengeld, das laut einem Bericht der Tageszeitung „HNA“ damals bei 15 Euro pro Monat gelegen haben soll, um ein Vielfaches aufbessern. Der Goldrausch in Göttingen begann, als der 18-Jährige vier goldbeschichtete Barren und eine vermeintliche Krügerrand-Münze der örtlichen Sparkasse anbot und dafür 5.785 Euro erhielt. Bis Dezember 2016 folgten weitere Käufe, bei denen der Beschuldigte seinen Umsatz deutlich steigerte. Kurz bevor er aufflog, soll er der Sparkasse noch 80 vergoldete Barren für rund 88.000 Euro verkauft haben.

Fälschung eines Perth-Mint-Goldbarrens, Bild: S. Wieschowski
Wie kann sowas passieren?
Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Göttingen gab sich der Nachwuchs-Goldverkäufer kleinlaut. Als es um die Frage ging, ob ihm die Echtheit seiner Ware bewusst gewesen sei, verstrickte sich der Angeklagte schnell in Widersprüche. Immer wieder wurde diese Frage vor Gericht erörtert. Wahrscheinlich würde sie jeder Laie ganz klar mit „Ja“ beantworten. Der Angeklagte jedoch wand sich, so richtig habe er es nicht gewusst. Gegenüber der Polizei soll er aber bestätigt haben, dass er das Gold als „plated“ – also lediglich vergoldet – gekauft hat. Kurzum: Seine Geschichte erschien nicht wirklich glaubwürdig. Bei der Verhandlung im Oktober wurde mit keinem Wort die Frage erörtert, wie der regelmäßige Verkauf von gefälschtem Gold bei einer renommierten Bank so lange unerkannt bleiben konnte. Immerhin hatte der junge Mann das Geld treu auf sein Konto bei der Sparkasse eingezahlt. Warum die Goldfälschungen nicht aufflogen, ist offenbar auch für die Deutsche Bundesbank ein Rätsel: Sie stellte bereits im vergangenen Jahr klar, dass ihr kein vergleichbarer Fall bekannt sei.

Fälschung einer Goldunze „Krügerrand“, Bild: S. Wieschowski
Sparkasse soll Nachschub gefordert haben
Besonders brisant ist ein Detail, das der Göttinger Rechtsanwalt Patrick Riebe im Oktober vor Gericht erklärte: Die Sparkasse habe sogar bei dem 18-Jährigen angerufen und nach weiterer Ware gefragt. Der Fall ist also vor allem für das Göttinger Geldhaus peinlich, denn die Bank hatte das dubiose Gold bereits an andere Kunden weiterverkauft oder einschmelzen lassen. Auch dabei ist offenbar nicht aufgefallen, dass die Barren aus Göttingen überhaupt kein Gold enthielten. Erst bei der Landesbank Baden-Württemberg sind die Goldfälschungen schließlich aufgefallen. In der November-Verhandlung wurde deutlich, dass die Geschichte deutlich vielschichtiger ist, als von der Boulevardpresse bislang dargestellt. So erklärte eine Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, dass der junge Mann an einer Erkrankung leide, die seine Kommunikation beeinträchtige. Auch ein als Zeuge geladener Polizeibeamter bestätigte diesen Eindruck. Er beschrieb den Angeklagten als zurückhaltend, schüchtern, bisweilen kindlich und nicht in der Lage, das Ausmaß der Situation zu überblicken.

Fälschung eines PAMP-Goldbarrens, Bild: S. Wieschowski
Polizei: „So was hatten wir noch nicht gesehen“
Aus der Ferne wirkt der junge Mann beinahe bemitleidenswert. Zumal er bereits in der ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht im Oktober ein Detail verriet, das ihm wenigstens unter Numismatikern ein paar Sympathiepunkte einbringen könnte: Er sei Münzensammler seit Kindertagen, berichtete er. Der Polizeibeamte bestätigte diese Aussage, in seinem Zimmer lagen überall Münzen, sogar auf dem Fußboden. Das Fazit des Polizisten: „So was hatten wir noch nicht gesehen.“
Gericht: Sparkasse trifft Mitschuld
Offen geblieben sind vor dem Amtsgericht Göttingen viele Fragen, die allerdings nicht der Angeklagte beantworten müsste, sondern die Sparkasse Göttingen: „Die Schadenshöhe ist natürlich enorm, das ist klar. Aber das kriminelle Unrecht, das man dem Angeklagten vorwirft, ist etwas geschmälert, weil es ihm leicht gemacht wurde. Leicht gemacht heißt, dass er nicht besonders viel kriminelle Energie aufwenden musste, um sein Vorhaben umzusetzen. Das heißt, er hat ja praktisch einfach nur das Angebot unterbreitet und das wurde dann angenommen von der Sparkasse, ohne dass er sich Tricks oder Schliche ausdenken musste“, erklärte Gerichtssprecher Stefan Scherrer gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk. Dabei ist es nicht unmöglich, gefälschte Goldbarren zu enttarnen. Bei Münzfälschungen ist es mitunter noch leichter.
So ist es auch kaum verwunderlich, dass die Sparkasse Göttingen rund um das Prozessende keinerlei Fragen zu den Details des unglaublichen Gold-Handels beantwortete und stattdessen das Einmaleins der Krisen-PR herunterbetete. Heißt: Es ist ein Einzelfall. Kunden sind nicht zu Schaden gekommen. Und, man glaubt es kaum: Die „bereits vorhandenen Prüfungs- und Sicherungsmaßnahmen“ werden weiter verschärft.
Titelbild: Dr. Oliver Jitschin, Amtsgericht Göttingen
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