Seltenes Fundstück der britischen Münzprägung
Die Gothic Crown aus Großbritannien mit dem Konterfei der jungen Königin Victoria ist eine numismatische Legende. Sie wurde nur 8.000-mal geprägt und verschwand danach in der Versenkung:
Alt, wuchtig, ernst – so wird Queen Victoria meist dargestellt. Die – nicht nur körperlich – kolossale, britische Königin gilt heutzutage als Jahrhundertmonarchin, als Herrscherin über die Weltmeere und als Großmutter Europas. Zeitlebens gab sie allerdings auch eine bedauernswerte Gestalt ab: Nach dem Tod ihres geliebten Gatten Albert ließ sie sich ganze vierzig Jahre lang – bis zu ihrem eigenen Tod im Jahr 1901 – mit leerem Blick und Witwenschleier ablichten, mied die Öffentlichkeit.
Womöglich würde kaum jemand auf den ersten Blick Queen Victoria auf der silbernen Gothic-Crown-Münze wiedererkennen. Geprägt wurde die Gothic Crown bereits 1847. Von der heimischen Royal Mint wurde sie wenig bescheiden als „eine der schönsten und seltensten Münzen der Welt“ bezeichnet. In Fachkreisen gilt die Gothic Crown als numismatische Legende. Ihr Name geht auf die charakteristische Gestaltung dieser besonderen Crown-Münze zurück. Denn die junge Königin Victoria ist im mittelalterlichen Stil dargestellt, der sich damals in Großbritannien großer Beliebtheit erfreute. Die Königin blickt nach links. Dabei trägt sie eine reich verzierte Krone. Der Münzrand besteht aus dutzenden kleinen Kleeblättern und wird von der Spitze der Krone berührt.
Kleid mit Rosen, Disteln und Kleeblättern
Für die Inschrift wurde eine typisch mittelalterliche, gotische Schriftart gewählt. So, wie sie im Mittelalter und der Renaissance im europäischen Buchdruck zum Standard wurde und beispielsweise in den prächtigen Inkunabeln der damaligen Zeit oder in den Werken des deutschen Grafikers Albrecht Dürer zu finden ist. Zudem wurden viele öffentliche Gebäude, die während der Herrschaft Queen Victorias eröffnet wurden, mit gotischen Inschriften verziert – eine bewusste Rückbesinnung auf etablierte Werte in einer Zeit, in der durch die Industrialisierung bei der Herstellung von Möbeln, Büchern und anderen Gütern kaum noch Zeit war für feine Verschnörkelungen.
Auch die Königin wurde für das Münzbild typisch gotisch in Szene gesetzt. So trägt sie auf der Gothic-Crown-Münze ein besticktes, mit Rosen geschmücktes Kleid. Offensichtlich eine Reminiszenz an das englische Mutterland. Außerdem sind Disteln (als Symbol für Schottland) und Kleeblätter (für Irland) zu sehen. Ihre Haare sind zu einem Zopf geflochten, der kunstvoll um das Ohr gelegt ist und in der Krone verschwindet.
1847 eine Innovation: Königin mit Krone
Zum Zeitpunkt ihrer Erstausgabe war die Münze in mehrerlei Hinsicht eine Sensation. So hatte sich seit Karl II. (1630-1685) kein britischer Monarch mehr mit einer Krone auf Münzen abbilden lassen. Sein Vater zog es vor, sich mit einem Eichenkranz auf dem Kopf als Herrscher zu erkennen zu geben und die meisten Nachfolger taten es ihm gleich, um die Verbindung des Königs zum Volk in einer konstitutionellen Monarchie deutlich zu machen. Doch William Wyon, damaliger Chefgraveur der Royal Mint, setzte der Königin auch auf den Münzen nicht nur sprichwörtlich die Krone auf. Immerhin war Großbritannien in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Seemacht, während andere Staaten in Europa sich zeitgleich ihren Platz an der Sonne sichern wollten. Man könnte die Botschaft also auch folgendermaßen verstehen: Victoria ist der Herr – oder in diesem Fall die Herrin – im Hause Europa.
Gothic Crown: „verletzlich und diskret erotisiert“
Keine Frage, auch das Geschlecht spielt bei der Bewertung der britischen „Crown“-Münze, die von vielen Numismatikern als schönste Münze der Menschheitsgeschichte angesehen wird, eine Rolle. In der Tat dürfte es schwerfallen, eine vergleichbare Münze aus dem 19. Jahrhundert zu finden, die eine Frau in derart natürlicher Schönheit abbildet. „Wenn das Wort ‚Schönheit‘ heute auf eine Münze angewendet wird, vermutet man auch, dass das Geschlecht des dargestellten Monarchen ein Faktor sein könnte“, mutmaßte beispielsweise der britische Numismatiker James Booth in einem Aufsatz für den Blog des britischen Auktionshauses „Baldwins“. Dabei beschreibt er die Darstellung der Königin auf der Münze folgendermaßen: „Victoria mit ihren halboffenen Lippen ist verletzlich und sehr diskret erotisiert.“
Schlussendlich trafen die Graveure mit der Rückbesinnung auf mittelalterliche Gestaltungselemente den Zeitgeist, der im früheren 19. Jahrhundert in Großbritannien herrschte. Damit hatte die Romantik den Neoklassizismus und dessen aufklärerische Symbolik zurückgedrängt.
Rätsel um geringe Auflage
Es gibt also viele gute Gründe für die hohe Bedeutung, die der Gothic Crown in der Rückschau beigemessen wird. Vor diesem Hintergrund ist es allerdings erstaunlich, dass im Jahr 1847 nur 8.000 Stück geprägt wurden. Was genau mit den Crown-Münzen geschah, ist nicht klar. Günther Schön und Helmut Kahnt, Autoren des „Weltmünzkatalog 19. Jahrhundert“, vermuten, dass sie nie in Umlauf gekommen sind. Laut Howard W. A. Linecar („British Coin Designs and Coin Designers“) sollten die 8.000 Exemplare ursprünglich von wenigen Londoner Banken in Umlauf gebracht werden. Tatsächlich wurden sie jedoch in Rekordzeit von Sammlern absorbiert – die wenigsten Münzen sind also in den Geldverkehr gelangt. Peter Seaby schreibt in „The Story of British Coinage“:
„1846 bereitete William Wyon das Muster für ein neues Kronenstück vor. Darin ist die Königin mit einer gewölbten Krone und einem verzierten Gewand dargestellt. Die Königin war von dem Entwurf begeistert und im Jahr 1847 wurden 8.000 Stücke durch Banken ausgegeben. Möglicherweise wurden sie ursprünglich als Gedenkausgabe zum zehnten Jahrestag des Beitritts Victorias konzipiert. Es ist zweifelhaft, ob sie jemals für den Verkehr bestimmt waren, da ihre Herstellung in großen Mengen teuer gewesen wäre. Sie wurden mit größter Sorgfalt geprägt und viele, die ein Exemplar ergattert haben, haben diese gut geschützt, was anhand der Mengen deutlich wird, die immer noch im unverbreiteten Zustand gefunden werden.“
Volksversion der Gothic Crown fiel durch
Weil es sich bei der Gothic Crown ohnehin um eine Münzgröße handelte, die die arbeitende Bevölkerung nur selten zu Gesicht bekam – immerhin hatte sie einen Gegenwert von fünf Schilling und wurde vor allem in den Krönungsjahren eines frisch gebackenen Monarchen geprägt – wurde mit dem gleichem Motiv ab 1851 eine Florin-Münze (sie entsprach zwei Schilling) geprägt, die bis 1887 in den meisten Jahrgängen eine hohe Millionenauflage erreichte. Kuriose Randnotiz: Für den ersten Florin-Jahrgang mit Queen Victoria im Jahr 1849 wurde das weit verbreitete „D.G.“ für „dei gratia“ (von Gottes Gnaden) weggelassen. Aus diesem Grund erfreute sich die Münze bei der Bevölkerung keiner großen Beliebtheit und wurde abschätzig als „Godless Florin“, also gottloser Florin, bezeichnet.
Vorsicht vor gefälschter Gothic Crown
Aber die junge Queen Victoria ist nicht nur das Objekt der Begierde für anspruchsvolle und zahlungskräftige Münzensammler, sie ruft auch Fälscher auf den Plan. Immer wieder tauchen Silbermünzen mit der Königin auf, die erstaunlich gut erhalten sind oder eine besonders ausdrucksstarke Patina aufweisen. Hier ist stets besondere Vorsicht geboten: Die meisten der 8.000 Originale sind stark abgenutzt. Nur wenige Exemplare sind unberührt erhalten. Immerhin ist die Gothic Crown wegen der vielen Details auf Avers und Revers durchaus eine harte Nuss für Fälscher. Häufig werden typische Charakteristika vergessen, beispielsweise die prägebedingte Erhöhung im unteren Bereich des Wappenschildes.
Bei Preisen im vier- bis fünfstelligen Bereich ist eine zeitgenössische Nachprägung der Gothic Crown für die meisten Sammler jedoch die einzige Möglichkeit, diese prächtige Münzlegende in ihre Sammlung aufzunehmen.
Fotos/Grafik, wenn nicht anders ausgewiesen: Sebastian Wieschowski
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Tags: Crown Gothic Crown Großbritannien Royal Mint Silbermünzen Victoria